Røros, Norway // Für knappe 48h in einem anderen Jahrhundert.
Photographed in Røros, Norway
Kindly supported by the region of Trøndelag.
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Wir steigen die vom Regen dampfende schwarze Halde hinab und finden uns schlagartig ins 16te Jahrhundert versetzt. Am Fuße des kargen Hügels schmiegen sich winzige Holzhäuser in den sandigen Untergrund. Ganz schief und gegerbt von Wind und Wetter trotzen die alten Bauten den Jahreszeiten, ihre kleinen Fenster glitzern in den hervorbrechenden Sonnenstrahlen. Die Grasdächer funkeln noch feucht von dem eben versiegten Regen. Es ist ein ganz unwirklicher Anblick, wir warten nur darauf, aus einem der steinernen Schornsteine Rauch aufsteigen zu sehen oder das eine der Holztüren sich quietschend öffnet und ein Ruß verschmierter Bergbau-Arbeiter sich auf den Weg zur Kupfer-Mine macht. Doch nichts rührt sich, nur eine neugierige junge Frau in dunkelblauem Regenmantel steht vor einem der Fenster, wischt mit dem Ärmel die Tropfen beiseite und späht ins Innere. Es ist unglaublich still hier, fast so, als hätte man sich in eine Geisterstadt verirrt. Kennt irgendjemand noch den Pippi Langstrumpf Film 'Pippi geht von Bord' aus dem Jahre 1969? Der, in welchem sie einen riesigen Schneeball fertigt und diesen dann die Straße herunter rollen lässt, vorbei an kleinen, niedlichen Holzhäusern mit Grasdach? Das hier, das sind eben jene Häuschen und sie sehen noch genauso aus, wie im Film. Und selbst in eben jenem waren sie schon alt. Obgleich man demnach jetzt denken könnten, man befände sich in einer Filmkulisse (auch Jane Fonda ging hier schon in einer ihrer Rollen auf und das Disney Weihnachtsprogramm greift gern auf die Idylle zurück), so ist dieser Ort doch absolut real. Und bewohnt. Denn auch wenn die Sleggveien selbst heute zum Museum gehört, so ist der Rest des wunderschönen Røros, seines Zeichens eine der ältesten noch erhaltenen Holzstädte der Welt, betriebsam und das Zuhause von 5.669 Menschen. 5.669 Norweger und Zugezogene, die sich kollektiv nicht vorstellen können, an einem anderen Fleckchen auf dieser Erde zu wohnen. Ein kleines bisschen können wir sie verstehen.
Größer ist Røros nicht. Muss es auch nicht, seine Größe unterstreicht nur den unglaublichen Charme des Ortes. Wir ziehen unsere Koffer also ins erste Restaurant, das wir sehen. Die Kaffestuggu klingt verlockend und sieht wundervoll aus. Ist sie auch, stellen wir sofort fest. Das älteste Café von Røros serviert den Kaffee seit 1914 am selben Platz, das Gebäude selbst ist nochmal älter, stammt aus dem 17. Jahrhundert und trotzt nur so von Geschichte. Wenn wir ein riesiges, nicht zu verleugnendes Faible haben, dann ist es für solche Häuser. Das selbstgebackene Brot mit Butter aus der Region wird uns in einem Raum serviert, welcher wie ein altes Wohnzimmer aussieht - es braucht nicht viel Vorstellungskraft um das Gewusel aus Touristen und Einheimischen im Kopf gegen Schriftsteller und Zeitung lesende Arbeiter, gegen Frauen mit traditionellen Kopfbedeckungen und schwerem Pfeifenrauch auszutauschen. Wir bestellen noch frische Waffeln und Cappuccino und warten, bis der Regen etwas nachlässt, dann machen wir uns auf zu unserer Unterkunft für die nächsten zwei Nächte.
Das Røros Hotell ist groß, trotzdem fühlen wir uns sofort beinah heimisch. Der graue Himmel über sanftem Grün erinnert an unserer geliebtes Zuhause in Island, im Foyer begrüßt uns ein riesiger Kamin, in welchem ein Feuer knisternd vor sich hin flackert. Wir wollen schnell unser Gepäck abladen und die Zeit bis zum Dinner unbedingt an genau diesem Platz arbeiten. Wir hängen also die Regenjacken auf, inspizieren die bunten Räume mit Ausblick über Ort und Land und begeben uns dann zum Kamin, bestellen eine heiße Schokolade und bearbeiten in völliger Stille ein paar Bilder. Es hat fast etwas von winterlicher Vorfreude, dieses heimelige Gefühl, das uns befällt. Um 19Uhr laufen wir ins Brasseriet, das hoteleigene Restaurant. Kerzen brennen, die wenigen Tische sind voll besetzt. Wir haben eigentlich keine Erwartungen und wären auch mit einer Suppe zufrieden, doch wir werden mit einem drei Gänge Menü und perfekt passendem Rotwein überrascht. Jeden Abend werden hier drei Gänge serviert, man kann aus jeweils drei verschiedenen Varianten aussuchen. Wir entscheiden uns für Lachs, Steinbutt an frischem Gemüse und selbstgemachtem Eis mit weißen Schokomousse zum Nachtisch. Es hat so geschmeckt, wie es sich liest.
Erschöpft und leicht beschwipst fallen wir zufrieden ins Bett und geben endlich dem Jetlag nach. Kurz haben wir noch überlegt, das nagelneue Schwimmbad des Hotels, mit dampfendem Außenbecken und wundervollem Ausblick zu besuchen, doch wir sind einfach zu müde. Wir schlafen tief in unseren großen Betten, lassen die Fenster einen Spalt auf, um ja nichts von der taufrischen Luft zu verpassen und werden am Morgen vom Sonnenaufgang und Vogelgezwitscher geweckt. Dusche, Müsli und Obst zum Frühstück und ab in die ersten Strahlen des neuen Tages. Der Regen hat aufgehört, die Straßen glänzen noch im Tau der frühen Stunden. Die Kamera fängt überall Reflektionen von kleinen Regenbögen und flackernde Lichtpunkte ein, es liegt eine tiefe Ruhe über der noch schlafenden Ortschaft. Wir lassen uns einfach treiben. Besuchen die Keramik-Werkstatt von Per Lysgaard, dessen ganzes Haus ein kleines Kunstwerk ist, schließen Freundschaft mit einer der Dorfkatzen, die auf der Bank vor der Røros Kirche in der Sonne döst. Wir schauen uns in der örtlichen Töpferei um, in welcher ein Schweizer traditionell norwegisches Geschirr handarbeitet. Seine Schuhe sind verschmiert vom Ton und er spricht über seine Stadt mit einer Liebe, die wir mittlerweile gut nachvollziehen können. So redet man, wenn man an dem Ort lebt, der sich wirklich wie zu Hause und schlicht richtig anfühlt. Wir streifen die beiden Hauptstraßen auf und ab, besuchen all die kleinen Shops und stecken unsere neugierigen Köpfe in die vielen Hinterhöfe der bunten Holzhäuser.
Der Hunger treibt uns ins Røros Delikatesser, wo ein riesengroßer, bärtiger Norweger frische Spezialitäten der Gegend verkauft und ein hervorragendes Mittagessen serviert. Mit selbst gesammelten Pfifferlingen und Eiern von Hühnern des Bio Bauernhofs in der direkten Nachbarschaft. Man schmeckt den Unterschied. In seinem kleinen Lunch-Restaurant gibt es genau vier Tische, eine große Theke mit Käse und anderen Waren aus Trøndelag (das ist der Name der gesamten Region) und ein winzig kleiner Laden, in dem man ebenfalls Selbstgemachtes und Regionales erstehen kann. Wir lassen uns hinreissen und kaufen handgemachtes Fudge in einem kleinen rosa Döschen. Völlig überfuttert ziehen wir weiter und verlassen die Ortschaft in Richtung Norden. Wir finden uns in einem Wald wieder, überall wachsen Birken, die Blätter und das Gras fangen langsam an sich zu verfärben. Alle paar hundert Meter stolpern wir über alte Farmhäuser und idyllische Urlaubshütten - bunt, aus Holz und mit Grasdach ducken sie sich zwischen die Bäume. Zwei Stunden wandern wir durch die Natur der Umgebung bis der Regen langsam wieder einsetzt und wir zum Hotel zurückkehren. Für den Abend haben wir uns etwas Besonderes vorgenommen: Beer Tasting in der lokalen Brauerei, dabei sind wir nichtmal Biertrinker. Wir treffen einen jungen Norweger (mit Bart, na klar), der es nach seinem Studium in Dänemark gar nicht erwarten konnte, in sein geliebtes Røros zurückzukehren. Er braut mit einer Euphorie und Begeisterung Bier, dass wir regelrecht angesteckt werden und uns von seinen Erzählungen über Hopfen und die richtigen Mischverhältnisse mitreissen lassen. Das Dunkelbier, was sie gerade erst angefangen haben zu produzieren, schmeckt schlichtweg großartig und ganz anders, als man es erwartet oder kennt. Wir sind begeistert und würden am liebsten ein paar Flaschen mit nach Hause nehmen. Bier, wer hätte das gedacht.
Über den Räumen für das Tasting liegt Berkel & Bar, eine Art Pup, auf der einen Seite des Hause, auf der anderen das gehobene Spezialitäten Restaurant Vertshuset, in welchem wir an diesem Abend ein sechs Gänge Menü serviert bekommen. Der aufstrebende Chef ist gerade mal 29 Jahre alt und redet so passioniert von Kochen, dass wir ihm gebannt zuhören, wir er von seinem Traum vom Michelin Star spricht. Der Qualität des Essens nach zu urteilen ist er davon nicht mehr allzu weit entfernt. Wir sind vor allem vom frischen Fisch und dem unglaublichen Dessert aus geeisten Äpfeln mit Karamell Crumble restlos begeistert. Während wir in an einem Ecktisch am Fenster vor uns hin schlemmen, stellen wir uns vor, wie wunderschön es sein muss, wenn in den Gassen der Schnee rieselt, die Scheiben von Eiskristallen bedeckt sind, man nach dem Essen in eiskalte Winterluft hinaustritt und durch den Frost den Hügel hinauf zum Hotel stapft. Weihnachten hier muss der Wahnsinn sein (und mit seinen Rekordtemperaturen von minus 20 - 50 (!) Grad - letztere gemessen im Winter 1914 - einer der kältesten Orte Norwegens). Wenn alles unter einer dicken Decke aus Weiß verschwindet, in den kleinen Holzhäusern die Lichter angezündet werden und über der ganzen Stadt noch deutlicher der Dunst einer vergangenen Zeit schwebt. Ausserdem haben wir gehört, dass jedes Jahr ein traditioneller Wintermarkt names Rørosmartnan stattfinden, zu dem an die 80.000 Besucher aus aller Welt und über 200 Händler aus Norwegen und Schweden anreisen. Aus uralter Tradition heraus kommen einige sogar per Pferdeschlitten angereist, was durch die verschneite Landschaft bis zu ein paar Wochen dauern kann. Wie wundervoll das sein muss, nur Kutschen und Pferde in der Stadt, dazu Verkaufsstände aus Holz, in denen selbstgemachte Waren angeboten werden, die Jahrhunderte alte Tradition und Geschichte haben. In der ganzen Umgebung gibt es unzählige Langlaufstrecken, auch Hundeschlittentouren werden zuhauf angeboten. Wir stellen uns den Winter in und um Røros absolut traumhaft vor.
Als wir das Restaurant verlassen nieselt es leider nur, trotzdem hat der Marsch durch die Dunkelheit, vorbei an der alten Kirche (bei der aufwendigen Restaurierung des schwer baufälligen Gebäudes wurden hier alte Münzen gefunden, sogar ein Gebetsbuch aus dem 18. JH hinter morschen Holzpaneelen entdeckt) und beleuchteten Häusern etwas Beruhigendes an sich und es ist nicht nur das Bier, was uns beseelt, es ist der ganze Ort, die Atmosphäre, die uns erneut durchschlafen lässt. Früh am nächsten Morgen steigen wir in den Bus, der uns schaukelnd durch gründe Täler, dichte Wälder und vorbei am Fluss zurück nach Trondheim bringt. Wir sind ein wenig traurig, dass wir nicht die alte Olavsmine besucht haben, in dem Bergwerk kann man geführte Touren gehen, aber es ist ja nicht aller Tage Abend und wer weiß, vielleicht finden wir uns eines Winters noch einmal im magischen Røros wieder.
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