Wundervolles Island - Episode 1: Was wir von den Isländern lernen können.

Versuch's mal wieder mit Gemütlichkeit.
Location: zu Hause, Reykjavik

Wir sitzen im Taxi zum Hannoveraner Hauptbahnhof, müssen unsere beiden Jungs zurück nach Island verabschieden und wollen sie eben im Zug absetzen. Die Tickets sind so gebucht, dass die beiden locker zwei Stunden Zeit zum Check-In haben - um 14Uhr nochwas soll der Flieger zurück in die Heimat starten. Wir sitzen also im Taxi und bekommen eine SMS. 'Wir bedauern, Sie informieren zu müssen, dass ihr Flug aktuell eine Stunde Verspätung hat und nun um 12:30Uhr gehen wird.' - Irgendwas in der Richtung. Schlagartige Stille im Auto, alle kalkulieren, wie das sein kann, dann die vorsichtige Frage 'ich dachte, der Flug geht kurz nach zwei?'. Wir beide sind umgehend angespannt, kramen fiebrig nach den Handys, um noch einmal die genauen Flugdaten zu checken. Uns trifft fast der Schlag - ganz offensichtlich ist bei der Zugbuchung jemand in der Zeile verrutscht, die geplante Abflugzeit ist 11:40Uhr. Wie wir so sind, werden wir direkt panisch. Fluchen. Recherchieren knapp an der Hysterie vorbei schlitternd (gut, dass ist leicht übertrieben), wann genau der Zug in Berlin ankommen soll, wie viele Minuten die Fahrtzeit vom Hauptbahnhof bis Schönefeld Flughafen beträgt, wann der Check-In Schalter schließt und diskutieren dann mit hochroten Köpfen, wie zur Hölle das passieren konnte. Während Caro Stressflecken bekommt und Linda nonstop redet, wechseln die beiden mit ruhiger Stimme drei Worte, klären die Lage und schauen dann gähnend aus dem Fenster. Wir verstehen nicht, wie man so ruhig bleiben kann und die Tatsache, dass weder Logi noch Einar die leiseste Unruhe verspüren, macht uns fast wütend. Am Bahnsteig checken die beiden in Seelenruhe online ein, nehmen uns in den Arm und sagen, dass es doch jetzt gut sei, es würde schon alles werden. Wenn ein Flieger Verspätung hat, dann verspätete er sich in der Regel nur noch mehr, Check-In würden sie schaffen, wenn sie ein Taxi statt der S-Bahn nehmen und wenn alles schief liefe, dann blieben sie halt länger im Lande, das wäre doch auch schön. Sie lächeln und grinsen und steigen gemütlich in den Zug, von Hetze keine Spur. Wir machen uns den gesamten Rückweg lang Sorgen, sind uns sicher, dass das nur schief gehen kann und sind selbst dann noch nervös, als wir eine Nachricht aus Berlin bekommen, sie wären nun auf dem Weg zum Flughafen und absolut sicher, dass alles hinhauen würde. Der Check-In hat natürlich längst geschlossen, wir wiegen uns in der Gewissheit, Recht zu behalten und sehen die Katastrophe vor unserem inneren Auge passieren. 10 Minuten später stehen sie beim Boarding, haben ihre Taschen einfach als Handgepäck mit ins Flugzeug genommen, niemandem ist ihr nun doppeltes Bordgepäck aufgefallen.

Während wir so ganz langsam wieder ausatmen können, müssen wir fast lachen. Die Jungs kommen am Nachmittag in Island an, finden ihr Auto an der Busstation dick eingeschneit wieder. Während wir davon ausgehen, dass sie längst zu Hause sind, bekommen wir ein Bild und die Nachricht, dass sie sich Schaufeln geliehen hätten und knappe 3 Stunden das Auto freilegen mussten. Drei Stunden, in denen wir miteinander kommuniziert hatten und in denen uns nicht einmal etwas von der akuten Scheiß-Situation übermittelt wurde, in welcher sich die zwei befunden hatten. Kein Nörgeln, kein Gemecker, nicht ein Wort. Zu dem Zeitpunkt haben wir uns dann leise geschämt. Wäre es umgedreht gewesen - wir wären ausgerastet. Hätten 'unser andauerndes Pech' verflucht, das Wetter abgehasst, die Autos, die Anstrengung der Schipperei, den ganzen beschissenen Tag inkl. der Hetze am Morgen und dem bescheuerten Schnee am Abend. Ja, wir haben uns geschämt. Dies ist ein Beispiel von einem Tag und zwei Situationen, wie haben davon noch so viele mehr in petto. Silvester zum Beispiel, als wir beide nölig waren, weil uns unsere Job-Situation zu dem Zeitpunkt so viel Nerven gekostet hat und wegen noch irgendwas, heute wissen wir nicht einmal mehr, was der genaue Grund für unsere miese Laune gewesen ist. Wir wurden bekocht, bekamen einen Schampus eingeschenkt und eine lange Rede, dass es keinerlei Sinn mache, sich aufzuregen, denn das würde auch nichts ändern. Dass dies ein schöner Tag sei, wir zusammen wären, ein tolles Essen hätten und eine putzige Katze, das Lachen mehr helfen würde, als unser Rumheulen. Damals waren wir erst sauer und fühlten uns unverstanden, nach zwei Gläsern sah die Welt wieder rosiger aus und irgendwie hatten die Beiden ja auch Recht. 

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Es ist nicht so, dass die Isländer nicht auch mal schlechte Tage hätten, vielleicht angeschlagen wären, enttäuscht oder traurig, aber es gräbt sich nicht so tief ein, es zeigt sich nicht so sehr. Sie lassen sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen, können mit Stress und Hektik wenig anfangen. Das ist nicht naiv oder unrealistisch, es ist einfach ein anderes Lebenstempo. An besagtem Silvester Abend erzählten die Jungs uns von einem gängigen isländischen Ausspruch (er wird von den Isländern viel und gern genutzt, stammt aber von Siddhartha Gautama/Buddha): 

"Wenn du ein Problem hast und es lösen kannst, dann gibt es keinen Grund, dich zu sorgen. Wenn du ein Problem hast und es nicht lösen kannst, dann ändert sich Sorgen zu machen auch nichts daran. Warum soll man sich also Sorgen machen?" (Das Original lautet Wenn du ein Problem hast, versuche es zu lösen. Kannst du es nicht lösen, dann mache kein Problem daraus.“)

Aber auch in den alten isländischen Sprichwörtern finden sich sinngemäße Aussagen wieder: "Besser ein halbes Brot, als alles verloren." oder auch "Du erreichst dein Ziel, auch wenn du langsam reist." Teilweise sind sie SO entspannt, dass es für uns zwei Effizienzler schon anstrengend ist. Auf der anderen Seite nimmt es immer Tempo raus, wir entspannen uns hier von Tag zu Tag mehr, das hatten wir ja auch schon einmal erzählt. Was wir also von den Isländern lernen können? Nicht durch das eigene Leben zu hetzen. Dass man auch langsam ans Ziel kommt, dass nicht alles Pech gleich ein Weltuntergang ist, dass man Probleme nicht größer machen sollte, als sie tatsächlich sind. Für uns ist das eine Lektion, die wir jeden Tag aufs Neue lernen müssen. Wir versuchen es. Und unsere Isländer? Erlernen durch uns ein bisschen mehr Organisation und Zeitmanagement. ;) ♥

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